Schusterdraht/gepichtes Zwirn herstellen

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Adalbert.

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In einem anderen Thread kam die Frage auf wie man gepichtes Schusterzwirn herstellt. Um dort nicht vom Thema abzukommen hier die Antwort. Ich stelle meine Schusterdrähte selber wie folgt her. Die Anleitung gilt für Rechtshänder (Linkshänder müssen links und rechts tauschen). Bilder für die einzelnen Schritte folgen noch. Schritt 1: Fäden abnehmen Man nehme ein Leinen- oder besser noch Hanfgarn (kein Zwirn!) mit etwa 8m pro Gramm (bspw. 8,5Nm/1) und nehme 6-7 Fäden für die Sohlennaht, 3 für Schaftnähte und 2 für Schaftrandeinfassungen. Das Garn darf nicht gewachst sein! Zum abnehmen der passenden Länge nimmt man das Garn in die eine Hand und spreizt beide Arme komplett aus. Dadurch werden die Fäden zweieinhalb Armlängen lang, das reicht in der Regel für eine komplette Sohlennaht. Zum abtrennen des Fadens nicht schneiden! Haltet das Ende des Fadens zwischen Daumen und Zeigefinger fest und dreht mit der anderen etwa 2cm entfernt den Faden auf und reist ihn ab. Dadurch erhält man an beiden Seiten ein ausgefranstes Ende das man im nächsten Schritt benötigt. Schritt 2: Kleispe eindrehen Alle Enden leicht mit Wasser befeuchten. Nun die Fäden aneinander legen und dabei die Enden immer in einem Abstand von 3-5cm anlegen. Das heißt den zweiten Faden mit 3-5cm Abstand zum ersten und den dritten mit 3-5cm Abstand zum zweiten usw. Nun fasst man die zusammengelegten Fäden mit der linken Hand etwa 10cm hinter dem letzten Faden an und legt die losen Enden über den rechten Oberschenkel. Nun werden die Fäden der Reihe nach eingedreht. Dabei begint man mit dem Abschnitt der der linken Hand am nächsten ist. Dazu legt man die rechte Hand flach auf den Oberschenkel (Fäden nun zwischen Hand und Oberschenkel) und bewegt diese nach vorne zum Knie (rauhe Hose von nöten, bspw. Jeans oder Cord). Wenn nicht genug drall im Faden mit den Fingerspitzen der rechten Hand festhalten damit er sich nicht wieder aufdreht. Nochmal auflegen und erneut eindrehen (2 mal reicht). Den eingedrehten Abschnitt auf die linke Hand wickeln. So weiter verfahren bis gesamtes Drahtende eingedreht ist. Nun ist die Kleispe (so wird das Drahtende auch genannt) bereit zum pichen. Schritt 3: Kleispe pichen Man wickelt den Draht von der linken Hand ab und fässt wieder etwa 10cm hinter dem letzten Faden mit der linken Hand an. Mit dem Pech in der rechten Hand wird nun die Kleispe zwischen Pech und Daumen eingeklemmt und und in einer schnellen Bewegung vom dicken zum dünnen Ende hin über das Pech gezogen. Durch die Reibung erwärmt sich das Pech und zieht in den Draht ein. Man muss ihn dabei nicht drehen. Durch den Drall dreht er sich beim drüberziehen von selber. Schritt 2 und 3 auch für das andere Fadenende wiederholen. Schritt 4: Draht eindrehen Hier benötigt man irgendeine Form von Haken oder eine Türklinke. An diesem wird der Draht in der mitte links neben einem aufgehängt. Nun stellt man sich im rechten Winkel zum Draht auf und fässt das einzudrehende Ende zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand. Das andere Ende hält man mit den restlichen Fingern der linken Hand und spannt beide Teile. Ab jetzt muss der Draht immer gespannt bleiben! Nun wird das einzudrehende Ende auf den Oberschenkel gelegt. Die Handfläche der rechten Hand wird auf den Oberschenkel gelegt (Draht zwischen Handfläche und Oberschenkel) und in Richtung Knie bewegt. Dabei lässt man mit der linken das einzudrehende Ende los (sonst kann der Draht sich nicht eindrehen). Ist die rechte Hand am Knie angekommen das Ende wieder mit der linken Hand Faßen und erneut eindrehen. Das ganze etwa 15 an beiden Drahtenden wiederholen. Schritt 5: Draht pichen Nun muss der Draht noch gepicht werden. Dazu mit der linken Hand beide Enden gut festhalten und mit dem Pech in der rechten den Draht vom Haken zur Spitze hin mit Pech stoßweise einreiben. Dazu den Draht wieder zwischen Daumen und Pech einklemmen. Wenn beide Enden eingepicht sind fehlt noch die Mitte. Dazu den Draht an einem Ende ein Stück herausziehen so das man die Mitte pichen kann. Schritt 6: Abschließende Arbeiten Ist der Draht vollständig gepicht diesen wieder in der mitte am Haken aufhängen und mit einem Stück Leinen oder Baumwolle die beiden Enden ausreiben. Dabei nicht zu schnell Reiben! Wird der Draht zu heiß verbrennt das Pech und der Draht wird unbrauchbar. Das Leinen/Baumwolle soll das Pech erwärmen so dass es tief in den Draht einzeiht und sich mit diesem verbindet. Zusätzlich nimmt es überschüssiges Pech auf. Abschließend noch den Draht mit Bienenwachs einreiben damit er besser durchs Leder gleitet. Noch einmal in einem zug mit dem Leinen-/Baumwollstück auspolieren. Fertig ist der Schusterdraht. Kann man auch aufwikeln und kühl lagern. Nicht in die Sonne, sonst verklebt er. Am besten aber sofort verwenden.
 
Hallo Adalbert Nur der Vollständigkeit halber und aus echtem Interesse, weißt Du seit wann diese Technik angewendet wird?
 
Hm, das habe ich mich bisher nie gefragt. Weder für die Technik ihn herzustellen, noch wann der erste gepichten Leinen-/Hanffaden in Verbindung mit Schuhen gefunden wurde. Ich were mal meine Bücher wälzen und sehen ob sich etwas findet.
 
So, wie versprochen hab ich die Bilder zu den einzelnen Schritten in die Galerie geladen. Schritt 2: Schritt 3: Schritt 4: Schritt 6: Und so sehen die Hände nach der Arbeit aus: Entschuldigt die schlechte Bidqualität. Aber bei künstlichenm licht in der Nacht schaffe ich nichts besseres auf die schnelle.
 
Einen kleinen Tipp fürs letzte Bild, man nehme irgend ein Öl (z.B. Olivenöl), reibt sich damit die Hände ein, dabei löst sich das Pech von den Händen. Danach noch einmal kurz die Hände mit Seife waschen und man hat schön gepflegte und saubere Finger.
 
Oder man nimmt Latexhandschuhe. ;)
 
Oder man nimmt Latexhandschuhe.
Aus eigener Erfahrung kann ich das nicht empfehlen. Beim pichen des Drahtes klebt das warme Pech so extrem am Latex-Handschuh das ein weiter arbeiten mit diesem nicht möglich ist. Die Variante mit dem Öl ist wirklich das beste. Man kennt es ja als "Omas Weisheit" zum entfernen von Baumharz von der Haut.
 
Was uU auch hilft, die Hände vorher leicht fetten. Z.B. mit einer einfachen Handcreme. Hilft bei mir gut in der Küche bei Roter Beete,die ja gut färbt.
 
Ich weiß nicht, ob ich da grundsätzlich ein Fehler mache, aber nachdem ich mir Pechdrähte hergestellt hab, sind meine Hände nicht wirklich eingesaut. Liegt vielleicht auch daran, dass ich helles Pech nehme, aber ist euer Pech so weich oder wärmt ihr das noch vor?
 
aber ist euer Pech so weich oder wärmt ihr das noch vor?
Ich weiß nicht wie weich das "helle Pech" ist. Denke aber vergleichbar zu dem schwarzen das ich immer verwende. Dieses kann ich im kalten Zustand mit etwas Druck verformen, aber es bricht wenn ich versuche es umzuklappen. Beim einreiben des Drahtes wird es aber so heiß, das es eine zähflüssige Konsistenz annimmt. Ähnlich wie der Teer auf der Straße. Und da ich den Draht zwischen Daumen und Pech einklemme bleibt da immer etwas kleben. Der Rest kommt vom halten des Drahtes und dem aufwickeln. Die Handwärme reicht aus damit es wieder etwas weich wird und sich geringe Mengen ablösen. Außerdem arbeite ich so schnell das der Draht nach dem pichen nicht ganz auskühlt. Das ganze Prozedere dauert 5-10 Minuten für einen Draht. Vorwärmen tue ich dabei gar nichts. P.S. Beim nähen passiert mir das nicht. hier berühre ich den Draht während des Nähens aber auch nicht. Nur zum verknoten am Nahtende und zum abschneiden.
 
Dann muss das wohl Hochsommerpech sein, was ich da habe, das wird nämlich nur bei etwa 50°C heiß. Mh müsste ich mir mal etwas weicheres Pech besorgen. Winterpech halt.
 
Vielen Dank für die Anleitung, ich hab mich genau dran gehalten und bin mit meinen Schusterdrahtergebnissen sehr zufrieden. :) Hab für die Sohle-Oberleder-Verbindung sechs Fäden genommen und hoffe mal, das hält. Ist auf jeden Fall ziemlich dick geworden und flutscht dank Bienenwachs auch echt gut.
 
Freut mich das die Anleitung hilfreich war. Wenn das Garn nicht zu dünn war sind 6 Fäden so stabil, dass man sie alleine kaum zerrissen bekommt. Vorher gibt typischerweise das Leder nach.
 
Nur der Vollständigkeit halber und aus echtem Interesse, weißt Du seit wann diese Technik angewendet wird?
Ich habe mich nun dieser Frage gewidmet und muss sagen: Ich habe keinen zeitgenössischen Beleg zur Herstellung von Pechfäden gefunden. Aber Pechfäden an sich lassen sich auch für das 13. Jahrhundert nachweisen. Bei den lederfragmenten im Augustiner Eremitenkloster in Freiburg haben sich Fragmente von Pechfäden erhalten. Aber es finden sich auch einfache gewachste Hanfzwirne. In vereinzelten Fällen finden sich auch ganz "besondere" Varianten. So findet sich in Schleswig auch ein starkes Pferdehaar als Nähfaden. Ich habe das ganze mal mit Belegen hier zusammengefasst: https://www.adalbert-shouster.com/de/post/pechdraht/
 

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