Die Schwertklinge im Hoch- und Spätmittelalter und ihre Unterschiede

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Thomas W.

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Schwertklinge ist nicht gleich Schwertklinge... In diesem Thema möchte ich anhand einiger exemplarischen Beispiele auf die Klingen- und Ortformen im Hoch- und Spätmittelalter eingehen. Die häufigsten Klingenformen im Hochmittelalter dürfte der Oakshott Typ X, XI, XIa und XII gewesen sein. Dies sind alles Klingen die primär für den Hieb ausgerichtet waren und weniger für den Stich. Ihre Orte laufen (auch bei erhaltenen Originalen dieser Zeit) in der Regel "rund" aus (Achtung! Die deutsche Oakeshott-Klassifikation auf wikipedia beschreibt das falsch! Sie spricht generell von einem spitz auslaufendem Ort. Genau wie bei den spätmittelalterlichen, primär für den Stich optimierten Schwertern... die hingegen laufen am Ort aber tatsächlich "spitz" aus! Den Unterschied sehr ihr aber gleich selbst). Aber ja, gelegentlich findet man auch um 1200 herum schon "wirklich spitze" Ausnahmen bei den Orten. Sie sind aber (meiner Meinung nach) nicht die Regel. Erst im weiteren Verlauf des 13. Jhd. (primär ab der zweiten Hälfte) werden die Orte generell spitzer und die Klingen mit kürzeren Hohlkehlen (wie beim Typ XII zum Beispiel) versehen, um sie allgemein für den Stich zu optimieren (da die Körperpanzerung ja bekanntlich in diesem Zeitraum überarbeitet wurde = Stichwort Plattenrock, etc. und man mit hauen/schneiden nicht mehr sonderlich weit kam). Der Txp XII kann übrigens beides haben (jenachdem wann die Klinge im Einsatz war). Also einen eher runder auslaufenden, oder einen spitz auslaufenden Ort. Nicht das wir uns falsch verstehen. Auch die rund auslaufenden Orte sind "spitz" (und scharf bis ganz nach vorn)! Aber sie sind nicht primär dazu gemacht, um z.B. Ringpanzer etc. zu durchbohren. Dazu benötigt es optimalerweise eine andere Form (und einen etwas anderen Aufbau der Klinge, aber dazu komme ich gleich noch). Hier seht ihr erstmal drei "rund auslaufende" Orte (von links nach recht) meiner Typen XII, XI und X, wie sie um +-1200 herum im Einsatz gewesen sein könnten. (Bildquelle: Ritter Erasco) Ich möchte noch anmerken, dass die Gesamtlängen der einhändigen Schwerter im Zeitraum des Hochmittelalters im Schnitt bei um 100cm (+-5cm) lag. Lehnhart spricht im Durchschnitt sogar von 108cm Gesamtlänge (bei einer von ihm für sein Buch untersuchten repräsentativen Auswahl). Die frühen langen Schwerter (Typ XIIa und XIIIa) sind natürlich noch länger (aber dazu ein andermal mehr). Nun Vergleichen wir auf einem weiteren Bild einmal direkt nebeneinder liegend (von links nach rechts) die Orte von hochmittelalterlichen Schwertklingen mit denen von spätmittelalterlichen Exemplaren. Man erkennt sofort einen Unterschied bei der Gestaltung der Orte (nämlich zwischen "rund- bzw- spitz" auslaufend). Auf den zweiten Blick fällt ebenfalls auf, dass die Klingenquerschnitte bei hoch- und spätmittelalterlichen Schwertern unterschiedlich sind. Dies hat etwas mit ihrem primären Einsatzzweck zu tun. Nämlich entweder dem Hieb- oder dem Stich (oder auch beidem, wie bei der Klinge ganz rechts im Bild).
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(Bildquelle: Ritter Erasco) Bevor ich nun die Klingen bzw. die kompletten Schwerter etwas näher beschreibe, gibt es erst einmal noch ein Bild von ihnen zu sehen. Die Reihenfolge der Klingen ist unverändert zu dem oberen Bild.
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(Bildquelle: Ritter Erasco) Bei den hier gezeigten Klingenformen handelt es sich (von unten nach oben) um einen Oakeshott: - Typ XI (11. Jhd. bis um 1200, ballige Hiebklinge mit langer und recht breiter, teils auch fast bis zum Ort reichender Hohlkehle, GL = 101cm) - Typ XII (ab 1175 bis ins 14. Jhd., ballige Hiebklinge mit langer (etwa 2/3 der Klingenlänge) Hohlkehle, teilweise bereits auch schon mit spitzem Ort für den Stich optimiert, GL = 102,5cm) - Typ XIV (ab zweite Hälfte 13. Jhd. & 14. Jhd., letzter Klingentyp mit für ein Hiebschwert typisch balligem bzw. konvexem Klingenquerschnitt, an der Basis sehr breite und kurze Klinge, sich zum Ort hin stark verjüngend, für Hieb und Stich geeignet, dieses Schwert wird auf 1300-1350 datiert, GL = 82cm) - Typ XVIII (15. Jhd., rautenförmige, leicht konkarve Klinge, keine oder nur kurze Hohlkehle, für den Stich optimiert, die Vorlage zu dieser Schwertreplik wird auf das erste Viertel des 15. Jhd. datiert, GL = 87cm) - Typ XVa (14./15. Jhd., rautenförmige, sehr spitz zulaufende Klinge, nadelförmiger Ort, keine oder nur kurze Hohlkehle, für den Stich optimiert, das Original wird auf um 1400 datiert, GL = 102cm) - Typ XVIIIb (15./16. Jhd., langes Schwert mit langer und schlanker rautenförmiger Klinge, langer Griff für zweihändige Führung, dieses Exemplar wird im Original auf 1550-1580 datiert, GL = 124cm) - Typ XVIIIa (15./16. Jhd., langes Schwert mit nun wieder breiterer Klinge, spitzer Ort mit dahinter liegendem rautenförmigen für den Stich optimierten Klingenteil, dahinter 1-3 Hohlkehlen an der breiten Klingenbasis, allgemein im gesamten kürzer als die XVIIIb Klinge, für Stich und auch wieder für den Hieb geeignet, dieses Schwert wird im Original auf 1520-1530 datiert und kann mit beiden Händen geführt werden, GL = 111cm). Ich hoffe man erkennt die von mir angesprochenen Details und ich konnte für Interessierte etwas "Licht ins dunkle" bringen. :trink02
 
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Bei den runden Orten würde ich nicht sagen, dass sie nicht für Stiche ausgelegt waren - ein sehr spitzer Ort hat die Tendenz Bein Auftreten auf knöcherne Struktur im Knochen zu beißen, wohingegen ein runder Ort am Knochen ableitet und entweder an ihm entlang schneidet oder daran vorbeirutscht und tiefer eindringt. Die Spitze würde ich eher den immer kleiner werdenden Lücken in den immer besser werdenden Rüstungen zuschreiben und der damit verbundenen geänderten Fechtweise im Halbschwert. Aber ich würde die Stichfähigkeit eines runden Ortes nicht unterschätzen.
 
@Dunio
Nicht das wir uns falsch verstehen. Auch die rund auslaufenden Orte sind "spitz" (und scharf bis ganz nach vorn)! Aber sie sind nicht primär dazu gemacht, um z.B. Ringpanzer etc. zu durchbohren. Dazu benötigt es optimalerweise eine andere Form (und einen etwas anderen Aufbau der Klinge, aber dazu komme ich gleich noch).
Natürlich konnte man mit ihnen auch Stechen. Dennoch war die Klinge im HoMi von ihrer Form und Geometrie her mehr für den Hieb, als für den Stich ausgelegt. Erst mit der Zuhnahme der besseren Panzerung ab der zweiten Hälfte des 13. Jhd. änderte sich das (wie oben beschrieben). Man konnte mit nahezu jedem Schwert "hauen und stechen". Aber nicht alle konnten beides gleich gut und gleich lang.
 
Da hab ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt. Was ich sagen wollte war, dass eine leichte Rundung am Ort der Klinge bessere Eindringeigenschaften verleiht - besonders, wenn das Ziel Knochen hat.
 
Die leichte kognitive Dissonanz beruht wahrscheinlich auf dem deutlichen Unterschied zwischen: 1. Stich gegen ungerüstet 2. Stich durch eine Rüstung Bei 1. ist das Eindringen in das Ziel nicht das Problem, die Wirkung wird hier in der Tat dadurch otpimiert, innerhalb des Ziels möglichst viel Schaden anzurichten. Es ist nicht Sinn der Sache, das Ziel möglichst sauber komplett zu durchstoßen und hinten wieder auszutreten, denn dadurch bleibt der Wundkanal sauber und klein, kinetische Energie wird kaum auf/in das Ziel übertragen, signifikante Schäden sind nur zu erwarten, wenn lebenswichtige Organe dabei durchstoßen werden. (analogie Schusswaffen: sauberer Durchschuss) Hier ist eine breite Klinge, deren Ort ausreichend spitz ist, um überhaupt in das Ziel einzudringen, die Klinge der Wahl. Bei 2. dagegen ist beim Durchstoßen einer Rüstung, ob Metall oder mehrlagig Textil, mit einem hohen Widerstand zu rechnen, der die auftreffende Klinge zum Einen durch die Stoß/Schockwirkung stark belastet (Bruchgefahr), zum Anderen die durchstoßende Klinge stark abbremst. Je geringer der Querschnitt der Klinge, also die Fläche, welche die Rüstung durchdringen muss, umso geringer wird der Widerstand und damit die "Bremswirkung" gehalten und umso weniger kinetische Energie wird für das reine Durchstoßen der Rüstung benötigt, so dass mehr Restenergie zur Verfügung steht, um im Ziel den eigentlichen Schaden anzurichten. Um ein zu starkes Durchbiegen der Klinge (kinetische Energie würde hier in Verformungsenergie umgewandelt und ginge somit für den eigentlichen Zweck verloren) oder gar Bruch der Klinge zu verhindern, muss dafür die Klinge selbst robuster geformt sein (von grob flacher, dünner Blattform zu, ebenfalls grob, dickem Mehrkant), analog einer zweiflügligen Pfeilspitze zu einem Bodkin. Fazit: Natürlich kann man mit jeder Klinge stechen, sogar mit einem Löffel kann man stechen. Die Frage ist: Auf was bzw durch was will man stechen? "Spitz" und "Stich" im Sinne des Eingangsbeitrags ist, wie ja durch die Bemerkung der technologischen Entwicklung der Rüstungen aufgezeigt wird, also "spitz" bzw "Stich" im Sinne der Durchschlagsleistung.
 

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