Paulinzella – Eine Klosterruine am Pilgerweg

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Ritter Kunz

Guest
Da war mal einer eben weg, der Hape K. Als er dann wieder da war und sein Buch veröffentlichte, wurde das Pilgern schlagartig publik, nicht nur bei Christen. Dieses Buch wurde zum Bestseller. Dabei sind schon seit Jahrhunderten die Menschen unterwegs, zum Grab des Heiligen Jakobus in Santiago de Compostela. Ging es beim Pilgern im Mittelalter um die Erlangung des Seelenheiles, sind es heute meist andere Gründe: Selbstfindung, Verarbeitung von Schicksalsschlägen, mal für einige Zeit aussteigen, das Leben entschleunigen…. Auf dem Camino de Santiago sind alle Gesellschaftsschichten unterwegs, unterschiedlichster Religionen, auch Atheisten. Bei so manch einem von uns wird vielleicht eine Pilgerreise nur im Zusammenhang mit Spanien, vielleicht noch Frankreich gesehen: mittelalterliche Brücken, romanische Kirchen, karge Landschaften, Massenunterkünfte. Wie viele wissen, dass auch Deutschland von einem Netz von Jakobswegen durchzogen ist? Und ehrlich gesagt, bis vor einigen Jahren wusste auch ich nicht, dass sich in Erfurt zwei Pilgerwege nach Compostela kreuzen. Oftmals verlaufen diese Jakobswege entlang alter Handelsstraßen. Hier in Erfurt sind es die Via Regia und die alte Handelsstraße nach Venedig, von der Küste kommend. Auf der Via Regia verläuft der Ökumenische Pilgerweg von Görlitz nach Vacha, über Leipzig, Erfurt, Gotha, Eisenach und der Wartburg. Der andere Weg geht über Arnstadt, Paulinzella nach Vierzehnheiligen in Franken. Diesen Weg nennt man den Pilgerweg der starken Frauen. Er soll an die Heilige Elisabeth von Thüringen (1207 – 1231), an Walburga (710 -779) und an Paulina (1067 – 1107) erinnern. Meine Frau und ich hatten uns dieses Jahr vorgenommen, zur Klosterruine nach Paulinzella zu pilgern. Ob man es als Pilgern bezeichnen kann, zuerst mit der Bahn nach Singen zu fahren, um dann die restlichen 12 km zu Fuß zurückzulegen, sei dahingestellt. Singen, am gleichnamigen Berg, ist ein kleiner Ort im Thüringer Wald bei Ilmenau. Vom Bahnhof aus musste der Ort durchschritten werden, um auf den Jakobsweg zu gelangen. Mit innerlicher Einkehr ging es los… und endete erst mal mit einer gastronomischen Einkehr. Denn die Museumsbrauerei hatte geöffnet, mit Biergarten. Mehr brauche ich nicht zu sagen. Nach dem zweiten Bier kam etwas das schlechte Gewissen, denn so richtig passte das doch nicht zum Pilgern? Aber dann kam auch gleich der rettende Einfall. Ich entsann mich mehrerer Vorträge von Leuten, welche den Camino in Spanien durchschritten haben. Dort ist irgendwo ein Brunnen, kein gewöhnlicher, sondern einer, extra für Pilger, aus dem Wein kommt. Für manch einen Pilger verlängert sich dann die Reise um einen Tag. Und was dort erlaubt ist, kann in Thüringen nicht verboten sein. Mit nur einer Stunde Verzögerung ging es weiter, entlang an Viehweiden und dann durch den Wald. Es war bestes Wetter und kein anderer unterwegs. Vergeblich erhofften wir mal eine Bank zum Rasten. Aber sicherlich wollte man diesen Pilgerweg so realistisch wie möglich gestalten und früher gab es wohl am Wegesrand ebenfalls keine Bänke. Feuchtes Moos ist ja auch ganz nett zum Ausruhen. Irgendwann war der Wald durchschritten und da kam sie, die Bank, und nicht nur eine, gleich mit Tischen und Überdachungen. Da brauchten wir sie auch nicht mehr, zumal Paulinzella uns nun zu Füßen lag. Bis zur Klosterruine waren es noch zehn Minuten. Kurz vorher erreichten wir eine Gasstätte, welche leider geschlossen hatte. Das war echt schade, denn die Preise waren erträglich, noch dazu in DM. Die Speisekarte hatte sich bestens gehalten, in dem kleinen Kasten vor dem Gebäude. Der schöne Fachwerkbau selbst sah nicht mehr so gut aus. Aber er war ja auch nicht unser Ziel. Die Klosterruine ist dafür in einem sehr gut restaurierten Zustand, etwas für Liebhaber der Romanik! Gegründet wurde das Benediktinerkloster Paulinzella für Mönche und Nonnen in den Jahren nach 1102 von der Adeligen Witwe Christin Paulina aus Sachsen. Der ursprüngliche Name des Klosters ist Marienzelle. Der Bau der Basilika erfolgte zwischen 1112 und 1132. Schnell erweiterte sich der wirtschaftliche Einfluss des Klosters. Viele Dörfer befanden sich in seinem Besitz, an bis zu 100 Orten hatte es Rechte. Erst war es Doppel-, dann nur noch Mönchskloster. Die Gründerin Paulina (heilig gesprochen) erkrankte auf einer Reise in Münsterschwarzbach und starb am 14. März 1107. Ihre Gebeine wurden zum Kloster überführt. Während der Bauernkriege kam es zur Plünderung und zur Auflösung im Zuge der Reformation. Und danach wurde weitergeplündert, nämlich die Steine. Ein Brand 1600 ließ es ganz zur Ruine verkommen. Teilweise fand eine Erneuerung statt und im 18. Jahrhundert wurde direkt neben der Klosterkirche ein Jagdschloss des Grafen von Schwarzburg-Rudolstadt errichtet, welches heute das Thüringer Forstministerium beherbergt. Im selben Jahrhundert wurde bereits der Wert dieses romanischen Gebäudes erkannt und vor weiterem Verfall geschützt. Freunde der Romanik sollten sich diese kulturhistorische Stätte nicht entgehen lassen, wenn es einen in die Gegend von Arnstadt / Ilmenau verschlagen sollte. Zu erwähnen wäre noch der Heiratsmarkt in Paulinzella. In Ermangelung an Möglichkeiten trafen sich zu Christi Himmelfahrt Menschen der Umgebung, um nach dem Partner des Lebens Ausschau zu halten. Von bis zu 40.000 berichten die alten Einwohner des Ortes. Aus dem Heiratsmarkt wurde ein Volksfest. Die Abschaffung von Himmelfahrt als Feiertag in der DDR bedeutete auch das Aus für den Heiratsmarkt, bis zu seiner Wiederbelebung nach der Wende. Mag sein, dass sich auch heute noch an diesem Tage Beziehungen für’s Leben ergeben.
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Diese Privatbrauerei (jetzt auch Museum) überlebte die DDR!
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Wegweiser sind ganz nützlich. Nur dieser zeigt nach Erfurt und eben nicht nach Compostela bzw. Paulinzella (Vielleicht liegt es an der Brauerei)
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Die Basilika (Dach drauf und fast wie neu)
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....noch ein paar Bilder
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Das Jagdschloss, direkt an der Basilika
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Schönes Fachwerk
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Eine Bank vor dem Schloss. Womit man sie gefertigt hat, ist wohl eindeutig.
 
das sieht ja wirklich nach einem tollen Fleckchen aus!!! Boah, ich seh schon... bei der Geschwindigkeit an Fotoberichten brauch ich bald wieder ne Interrailtour durch Deutschland ^^ (und würde euch dann alle überfallen *muahaha*) Danke für den interessanten Bericht!!! Viking, Aleta... wär das nicht was für euch, der Heiratsmarkt? ^^
 
Äh, danke Ritter Kunz, dass Du mir meine erweiterte Heimat näherbringst! Ich seh schon, mein Kalender fürs nächste Jahr, den ich noch net hab, füllt sich zusehends.
 
Danke für die lobenden Worte! Und ich freue mich auf die nächsten Berichte von Firiel. Ja Julia, du brauchst nur ein paar km nach Norden, über den Rennsteig, schon biste da. Aber unterwegs schaust du bitte bei der Veste Heldburg vorbei und berichtest, wieweit das Projekt Deutsches Burgmuseum gediehen ist. :)
 
Da hast du uns was voraus, wir kennen es noch nicht. Liegt ja auch hinterm Berg. :) War bei deinem Besuch schon was vom Burgenmuseum zu sehen? Was sie dort geplant haben, dürfte viele interessieren.
 

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