Funde mit unbekanntem Zweck - wie geht Ihr damit um?

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Richtig, wir wissen eigentlich fast nichts wirklich genau. Das meiste stützt sich auf Vermutungen und erlangt ab einer gewissen Akzeptanz erst eine Art Legitimation. Wir haben - bezogen auf die Wikis - eigentlich nur Fragmente von Kleidung, die meist aus Gräbern, und nur sehr wenige bildliche Darstellungen. Und trotzdem rennen haufenweise A-Wikis rum, mit logisch zusammengedachten Klamotten, die als halbwegs A akzeptiert sind. Mit welchem Recht 'dürfen' wir uns nun beispielsweise eine eigene Skjoldehamn-Gugel anfertigen? Davon gibt es EIN Exemplar, in EINER Farbe, EINER Größe, EINER Nähtechnik. Streng genommen ist jede Abweichung von diesem Fund freie Interpretation. Wir extrapolieren aus diesem einen Fund eine Legitimation für freie Farbgebung und individuelle Größen. Warum ist das zulässig? Richtig - weil wir GLAUBEN, weil es uns logisch erscheint, dass es dieses Teil auch in 'anders' gegeben haben wird. WISSEN können wir es nicht.Dennoch wird von jedem bereitwillig akzeptiert, wenn jemand die in korrektem Stoff mit korrekter Webart und einer beliebigen belegbaren Farbe nachnäht. Warum dürfen wir sowas tun? Auf der anderen Seite haben wir einen Hornkringel. Der ein gleiches Muster trägt, wie belegter Schmuck. Der die gleiche Form hat wie belegter Schmuck. Der eine ähnliche Größe hat wie belegter Schmuck. Der aus dem gleichen Material besteht wie belegter Schmuck. Der nur das Pech hatte, nicht in der Nähe des Halses einer Leiche gefunden worden zu sein. Oder vielleicht ja eben doch, steht nur leider nix zu erwähnt. Da steht dann ein nach bestem Glauben(!) und bester Interpretation(!) zusammengeschusterter Wiki mit seiner individuellen Version einer Skjoldehamn-Gugel vor dem Publikum und darf sagen "Ich bin voll A ey". Der eine orientalische Münze um den Hals trägt, die zu einem Anhänger umgearbeitet wurde. Dazu eine ehemalige Fibel, ebenfalls als Anhänger. Alle finden das toll. Aber sobald er sich die Spinnwirtel umhängt, ist er pfui?
 
Da sind in der Regel Fachkräfte die sich in die Materie eingearbeitet haben, die das hauptberuflich machen. Gerade beim Haithabu Komplex gehe ich davon aus das die Stücke X-mal diskutiert wurden.
Du meinst die Experten, die jahrelang Penisse an Moorleichen und Pfeilspitzen in Gletschermumien übersehen? So ganz hörig würde ich mich auf die auch nicht unbedingt verlassen. ;)
 
In dem Moment, wo du die Skjoldehamm Gugel trägst, kannst du nicht 'voll-A' sein, denn die ist mit Vorsicht zu genießen, weil sie ins 11. Jhd. datiert wird ;-) Und man kann nicht 'voll a' sein. Funktioniert nicht. Man kann nur versuchen, so nah wie möglich dran zu kommen. Schritt für Schritt.... Deswegen lässt man - wenn das ziel ist,das man so nah wie möglich ran möchte - so 'schwammigen' Kram weg hängt sich statt eines Spinnwirtels eine orientalische Münze um den Hals. :saint:
 
Und man kann nicht 'voll a' sein. Funktioniert nicht. Man kann nur versuchen, so nah wie möglich dran zu kommen. Schritt für Schritt.... Deswegen lässt man - wenn das ziel ist,das man so nah wie möglich ran möchte - so 'schwammigen' Kram weg [...]
So sehe ich das auch. :)
 
Und bei jeder Rekonstruktion, jeder Interpretation sollte man das auch dem intressierten Publikum so sagen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten "Touris" die ernsthaft fragen, sogar mehr intresse Zeigen, wenn man erklärt wie man eben die Sachen von Funden und Miniaturen rekostruiert und interpretiert. Wer Intresse hat ist mit der Wahrheit gut bedient, und wer ungefragt am Kettenhemd fummelt und einen mit edler Recke/Sir Lancelot/Ritter Rost anspricht, dem ist es eh egal, hauptsache viel Äktschen auf dem Markt. Ich persönlich finde die Disskussion zu diesem Fund sehr spannend, auch wenn man vielleicht nie erfaren wird was es wirklich war. Panzerreiter hat da absolut Recht, das wir ständig auch gesicherte Erkentnisse hinterfragen sollte, vieles hat sich so eingebrannt das man es einfach für gegeben nimmt. So Threads wie der zur Bundhaube oder Baumwolle find ich da sehr gut, so kommt man der Wahrheit ein kleines Stückchen näher.
 
@Aisling - Hehe, ja ich weiß, die Gugel der vermutlich sämischen Frau, irgendwann zwischen 800 und 1.200 :) Sollte nur ein Beispiel sein für einen einmaligen Fund, der munter von jedem in freier Interpretation individuell ausgestaltet wird ;-) @Dragonlord1975 hat es im Grunde sehr treffend zusammengefasst. Solange wir einem interessierten Menschen offen sagen, dass die meisten Elemente der Gewandung (nur) eine möglichst gute Annäherung an eine vermutete Realität sind, es hierfür aber keinen definitiven Beweis geben kann, ist alles gut. Natürlich immer mit dem Hintergrund, dass diese Vermutungen seriös aus Quellen belegbar sind. War eine sehr spannende und interessante Diskussion, danke an alle Beteiligten :)
 
Bei Funden, vor allem im Textilbereich frage ich mich auch öfter: Was kann es gewesen sein? So auch bei einem Textilrest, der im Zusammenhang mit der Frau in Blau (Quelle: northernwomen.org), einer wikingerzeitlichen Frau, die in Ostisland bestattet wurde gefunden wurde. In meinem Blog habe ich während eines Aufenthaltes in Island im Textilzentrum dazu ein mögliche Lösung gefunden, vielleicht interessiert es ja hier den ein oder anderen Schultertuch oder was? Quelle: Blog) Marled
 
Ein sehr interessanter Artikel, @marled. Und Dein Blog dazu ist klasse. Wunderbar recherchiert, echte experimentelle Archäologie, Hut ab :allah
 
Ich entzaubere dann mal den möglichen Halsschmuck: in "Haithabu - Fernhandelszentrum zwischen den Welten" (Seite 59) von Birgit Maixner werden genau deine Skizzen als Spinnwirtel aus Horn betitelt. :D
 
Klar, die Dinger sehen so aus. :thumbup: Um genauso pingelig zu sein, müsst man jetzt die Frage stellen: Wurden die Dinger im Zusammenhang mit der Spinnerei gefunden ? Oder ist es einfach eine Annahme ? Vieles wird man wahrscheinlich nie exakt sagen können. Man stellt anhand von Analogien, àhnlichkeiten, Zusammenhänge her. Vermutet einen Verwendungszweck. Vieles sind Wahrscheinlichkeiten bis zu: an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeiten. Der damalige Besitzer weiss es. Was ist das? Durchmesser 2.4 cm, Dicke 4 mm, Horn. Einzelfund ohne Zusammenhang. Siedlung seit Alemannischer Zeit belegbar.
 

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Hier kurz die Auflösung: Widerlager für einen Lederknopf an der Tasche eines Falkners. Könnte vor 2000 Jahren genauso verwendet worden sein wie heute. Da meines Wissens keine so alte Falknertasche je gefunden wurde, natürlich nicht belegbar. Aus dem Ding liesse sich alles Mögliche ableiten oder vermuten. Allein der Besitzer und Anwender weiss es. Wenn das Ding später einmal in einer Fundschicht auftauchen sollte, dürfen gern zig Wissenschafter spekulieren oder mit Bestimmtheit sagen was es sein soll, aber ich wette, jeder wird danebenliegen. Und wenn sich irgend ein Livinghistory Darsteller in der Zukunft so ein Teil an eine Kette hängt, wird es a). mir völlig egal sein, b). keiner sicher sagen können ob es so verwendet wurde und c). Würd nicht mal mir, bei einer Zeitreise wenn ich dem Träger begegne, dann auffallen, dass es so nicht richtig verwendet wird. ( und falls doch, wärs mir grad nochmals egal). Bleiben wir doch dabei: Wir versuchen eine möglichst genaue Annäherung an das was mal war und bei vielem spekulieren wir gewaltig. Manches kann man sicher sagen, manches mit einer gewissen wahrscheinlichkeit, manches gar nicht. Bleiben wir nur beim absolut Belegbaren, wird die Auswahl extrem klein. Zusammenstellen von Objekten von verschiedenen Personen gilt nicht. Wäre so nicht belegbar. Also nur, was per Zufall bei z.B. ein und demselben Grab gefunden wurde gilt. Wenn bei dem keine Hosen gefunden wurden, ist das dann halt so. Welche zu tragen, die ein anderer Typ zum selben Zeitpunkt getragen hat, gilt nicht. Wäre ja eine nicht belegbare Anhäufung von verschiedenen Artefakten an einer fiktiven Person. Also nicht A. Drum: lassen wir uns doch einen gewissen Spielraum und seien wir einfach ehrlich dem Besucher gegenüber: Es hätte so sein können, vielleicht sogar fast sicher, aber es ist alles nur nachgestellt und mit Fehlern behaftet . Tut der Sache aber keinen Abbruch. PS: Bilder von mir ( bzw. damit da später nicht einer kommt und sagt: nach Beleg und eigener Aussage hätt ich so ausgesehen: Bilder die ich gemacht habe, von Dingen die ich habe). Man will ja nicht unkorrekt sein.
 

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Frisch aus Haithabu kommend kann ich berichten das die Teile dort in der Rubrik "Geweihschnitzer" als Spinnwirtel ausgestellt sind.
 
@Tyra SoUndSo - Aber immer noch ohne Zweckangabe, oder? Aber wo Du gerade schon mal da warst - hast Du zufällig irgendwo in der Ausstellung Ringe gesehen?
 
Also von den Dingern wird dort angenommen, es dürfte sich um Spinnwirtel handeln. Fein. Also nehmen wir das auch mal an. Könnt ja stimmen.
 
Es soll ja gar nicht in Abrede gestellt werden, dass es auch Spinnwirteln sein können. Von den Begründungen her ist das ja auch sehr gut möglich. Und wie Du eben schon geschrieben hast - was es wirklich war, weiß mit letztendlicher Sicherheit nur der ehemalige Besitzer ;-) Ich stelle mir übrigens gerade bildlich Deine Darstellung des Grabfundes vor - da rennt einer nackig durch die Gegend, nur mit Schwert und einem Stofffetzen auf der Brust rum, denn "mehr wurde in dem Grab nicht gefunden, und ich will ja nicht spekulieren..." :D :D :D Geil... :thumbsup:
 
@Tyra SoUndSo - Aber immer noch ohne Zweckangabe, oder? Aber wo Du gerade schon mal da warst - hast Du zufällig irgendwo in der Ausstellung Ringe gesehen?
Nur einen aus Gagat. Dieser war keinem Grab zugeordnet sondern kam unter der Rubrik "Mit wem Haithabu gehandelt hat" vor. Im gleichen Raum gab´s auch Gußformen für Falschgeld. :D PS: ich bin mal optimistischer als ihr und sage mir: die werden die Dinger nicht ohne Grund als Spinnwirtel bezeichnen.
 
Das Silbermünzen und bei den Wikinger (Dorestad, Ribe, Fränkische Münzen) und auch bei den Arabern die Diham, schon einmal gefälscht wurden ist schon länger bekannt. Hat aber keinen gestört solange das Silbergewicht einigermaßen gestimmt hat. ;)
 
Die wenigsten Spinnwirtel wurden in Gräbern gefunden, Sondern am Brunnen, an Straßenecken, etc. immer dort wo Frauen zusammen standen und quatschen konnten ;-)
 
Das nehm ich an, dass dies nicht unbedingt DIE Grabbeilagen waren. Dennoch sagt ein Fundort wie Strassenecke oder Brunnen, nicht zwingend etwas über die Verwendung eines Gegenstandes aus. Irgendwie aber auch unlogisch, dass dort wo man immer rumsteht, jede Menge so Dinger liegenbleiben und keiner sie mitnimmt oder aufhebt. Ausser sie wären alle kaputt.
 

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