Benno
Well-known member
Sodele, ich hatte vor einiger Zeit mal angeküdigt, einige Fachartikel, die ich für die interne Hintergrundbildung unserer Gruppe geschrieben habe, auch hier reinzustellen. Die Drohung mache ich hiermit wahr. Die Artikel sind zwar zumeist sehr speziell für unsere Darstellungs-zeit/region zugeschnitten, aber vielleicht sind sie für den einen oder anderen doch ganz informativ. Handwerk und Alltag in Ratingen um 1288. Unter besonderer Beachtung der Schneider Neben dem regen Fernhandel im verkehrsgünstig gelegenen Ratingen, lebte die Stadt vor allem vom Handwerk. Das dominierende Gewerk in Ratingen war das der Schmiede und Schleifer. Unter ca. 1000 Einwohnern, die die Stadt um 1500 hat, sind 80 Schmiedemeister! Wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich unter den 1000 Einwohnern Frauen, Kinder, Alte, Lehrlinge Gesellen, ungelernte Arbeiter, Mägde, Knechte und Tagelöhner befinden, bleibt für das restliche Handwerk nicht mehr viel übrig. Es wurden nicht nur viele, sondern eben auch sehr gute Eisenwaren in Ratingen gefertigt. Das berühmteste Erzeugnis waren die Ratinger Scheren, aber auch für Helme von hoher Qualität war die Stadt nah und fern bekannt. Ein in Ratingen gefertigter Helm aus dem späten 15. Jhdt. findet sich heute sogar im kunsthistorischen Museum von Madrid! Dieses starke Schmiedehandwerk ermöglicht den Kaufleuten, den lokalen Handwerkern für ihre Erzeugnisse einen guten Preis zu zahlen und die Wahren andernorts trotzdem mit ordentlichem Gewinn zu verkaufen. Der so erwirtschaftete Wohlstand ermöglicht es den Ratingern erst, sich größtenteils auf das Schmiedehandwerk zu konzentrieren, und die Dinge des täglichen Bedarfs, die nicht in der Stadt hergestellt werden konnten, von außerhalb zu kaufen. So unterstützten sich Handel und Handwerk in Ratingen gegenseitig. Die meisten Schmiede hatten ihre Werkstätten außerhalb der Stadtmauern. Zum einen wegen der Feuergefahr, die von den Essen ausging, vor allem aber, weil sie die Kraft der beiden Bäche Anger und Schwarzbach nutzten um über Wasserräder ihre Hammerwerke anzutreiben. Auch die Schleifer nutzten das Wasser für ihre Schleifsteine. Die Mehrzahl der Ratinger Handwerker arbeitete also außerhalb der Stadt, lebte aber im inneren. Dementsprechend zeigen archäologische Ausgrabungen in Ratingen, dass es hier auffällig viele relativ kleine Häuser gab, in denen ja keine Werkstadt Platz finden musste und die lediglich zum Wohnen dienten. Obwohl die Eisenverarbeitenden Gewerke das Ratinger Handwerk dominierten, gab es natürlich auch noch andere Handwerker. Als im 15. Jhdt. die ersten bis heute erhaltenen Zunftordnungen niedergeschrieben werden, gibt es 6 Handwerke in Ratingen, die groß genug sind, damit sich die Organisation in einer Zunft lohnt: Schmiede und Schleifer sind in einer Zunft vereint. Danach kommen die Bäcker, Fleischhauer, Hutmacher, Schuhmacher und Schneider. Mit den Schneidern wollen wir uns nun näher befassen, und an ihrem Beispiel das Alltagsleben eines städtischen Handwerkers am Ende des 13. Jhdt. näher betrachten Im Mittelalter ist der einzelne Mensch angewiesen auf den Schutz einer Gemeinschaft, sei es die Familie, die Dorfgemeinschaft, der Lehensverbund oder der geistliche Orden. Für den Handwerker war diese Gemeinschaft die Zunft. Sie sorgte durch strenge Richtlinien für eine gleich bleibend hohe Qualität der Waren. Sie beschränkte die maximale Anzahl von Meistern in der Stadt, die Menge, die jeder Meister fertigen, und die Anzahl an Lehrlingen und Gesellen, die er beschäftigen durfte, damit jeder von seinem Handwerk leben konnte und keiner ein Monopol errichten und den anderen die Existenzgrundlage nehmen konnte. Wurde ein Handwerker alt oder krank, so dass er nicht mehr arbeiten konnte, so kümmerten sich seine Zunftbrüder um ihn und seine Familie. Ebenso finanzierte und organisierte die Zunft Taufe, Hochzeit und Bestattung ihrer Mitglieder und lies Messen für die Seele des Toten lesen. Vor Gericht stellen sich Zunftbrüder einander als Eideshelfer zur Verfügung. Auch die Organisation des Wach- und Wehrdienstes obliegt der Zunft. Der Großteil des gesellschaftlichen Lebens eines Handwerkers spielte sich innerhalb der Zunft ab. Wenngleich die meisten Zunftordnungen erst im 14. oder, wie in Ratingen, 15. Jhdt. niedergeschrieben werden, sind bereits im 12. Jhdt. die meisten Handwerker in Bruderschaften organisiert. Für die Ratinger Schneider um 1288 ziehe ich den Zunftbrief aus dem letzten Viertel des 15. Jhdt. als Anhaltspunkt heran und versuche mich mit den nötigen Angleichungen an die frühere Zeit von ihm aus der Organisation der Bruderschaft zu unserer Zeit anzunähern. Innerhalb einer Zunft sind die verschiedensten Spezialisten vereint. So gibt es Neuschneider, die Kleidungsstücke auf Maß fertigen, Flickschneider, die alte Kleidungstücke ausbessern, Taschenmacher, Bruchenmacher und, und, und… Die Schneider dürfen lediglich neuen Stoff verarbeiten, nur Flickschneider dürfen auch bereits getragenes Tuch verwenden. Allen gemein ist, dass sie keine Kleidung in Einheitsgrößen auf Vorrat fertigen dürfen. Kleidungsstücke dürfen nur auf Auftrag des Kunden und nach seinen Maßen gefertigt werden. Den Stoff bringt der Kunde entweder selbst mit, oder der Schneider kauft ihn in dessen Auftrag. Wer die Zunftordnungen verletzt, muss zunächst ein Strafgeld zahlen. Im schweren Wiederholungsfall kann der Missetäter sogar aus der Zunft ausgeschlossen werden, was für ihn nicht nur den Verlust seiner sozialen Kontakte, sondern auch den Verlust seiner Lebensgrundlage bedeutet. Denn nur wer in einer Zunft organisiert ist, darf in der Stadt ein Handwerk ausüben. Auf den Wochenmärkten bekommen nur die Händler, die „zünftige“ Waren verkaufen, die besten Plätze im Zentrum des Marktplatzes, die Bauern aus den umliegenden Dörfern müssen ihre handwerklichen Erzeugnisse am Rand verkaufen. Harte Strafen erwarten denjenigen, der vorgibt, zünftige Waren zu verkaufen, sich aber nicht an die Qualitätsvorgaben der Zunft hält und seine Waren deshalb im Verborgenen außerhalb der Stadt, im Busch, herstellt, also „pfuscht“, wie man heute noch sagt. Im 13. Jhdt. besuchen die meisten Kinder von Handwerkern, Mädchen wie Jungen, die Pfarrschule, wo ihnen ein Priester für relativ geringen Lohn Lesen, Schreiben und Rechnen beibringt. Im Gegenzug lernen die Kinder auch die Musik und singen bis zum Stimmbruch im Kirchenchor. Darüber, wie groß der Anteil am Unterricht sein sollte, den das Singen neben den anderen Fächern einnehmen sollte, sind viele Rechtsstreitigkeiten erhalten, da die Handwerker natürlich wollten, dass ihre Kinder möglichst praktisches Wissen erlernten, die Kirche hingegen immer dringend Sänger für die Liturgie benötigte. Bereits im elterlichen Haus lernt das Kind, in der Werkstadt mit zu arbeiten. Dabei soll das Kind auch schon erstes Wissen über seinen zukünftigen Beruf sammeln. Im Hoch- und Spätmittelalter ist man in der Bürgerschaft allgemein der Ansicht, man sollte jedes seiner Kinder, ob Junge oder Mädchen (!), ein Handwerk lernen lassen, damit sie später für sich sorgen können.