Die Jagd bei den Nordwestslawen ( Teil I ) Unter der besonderen Berücksichtigung der Ausgrabungsbefunde aus Starigard/Oldenburg in Holstein und Berlin-Spandau Die Jagd im Mittelalter wird gemeinhin als ein Privileg der Stammesfürsten oder zumindest der Angehörigen einer sozialen Oberschicht angesehen. Durch bildliche und schriftliche Zeugnisse manifestiert sich die Vorstellung einer wohlorganisierten, vielköpfigen Jagdgesellschaft, bestehend aus den hochgestellten Persönlichkeiten selbst und einer großen Zahl an Jagdhelfern, Treibern, Hundeführern und Reitern. Die Nutznießung jagdlicher Aktivitäten, sei es das Vergnügen, sich auf diese Weise die Zeit zu vertreiben und einem Sport nachzugehen, sei es die Prestigevergrößerung durch den Jagderfolg selbst, das Vorweisen von Trophäen oder schließlich der Verzehr des Wildbrets, war alleinige Sache der Stammesfürsten und seines Gefolges. Ein solches Bild impliziert, das zu damaliger Zeit der Speiseplan in den Häusern des mittleren und niederen Standes wesentlich bescheidener ausfiel. Wenn dort überhaupt einmal Fleisch in den Töpfen war oder gar ein Braten über dem Feuer schmorte, stammte er vermutlich nicht von edlem Jagdwild, sondern von einem in bäuerlicher Viehwirtschaft gehaltenen Haustier. Doch ist diese Vorstellung auch auf die slawisch-frühmittelalterliche Zeit übertragbar ?. Schriftliche Belege wie auch bildliche Darstellungen liegen uns für diese Periode nur in sehr geringem Umfang vor. Wir müssen uns auf andere Indizien stützen. Eine wichtige Informationsquelle sind Schlacht- und Speisereste aus frühmittelalterlichen Siedlungszusammenhängen. Eine der umfassendsten Untersuchungen zum Thema Wirtschaftsweise und Ernährung hat N. Benecke für den Ostseeraum vorgelegt. Ein Blick auf die von ihm erarbeiteten Befunde zum Haustier-Wildtierverhältnis in frühmittelalterlichen Siedlungen und Burgen zeigt deutlich, das zu damaliger Zeit der Anteil der Wildtiere im Schlacht- und Speiseabfall fast aller erfassten Fundplätze außerordentlich gering ausfiel. Er lag, von zwei Ausnahmen abgesehen, zumeist unter 5%. Die erste Ausnahme sind Siedlungen und Burgen des Ostbaltikums; hier ergeben sich hohe Wildtieranteile durch die Überreste vieler kleiner und mittelgroßer Raubtiere, die ihrer Felle und deren Handelswertes wegen hoch geschätzt und entsprechend intensiv bejagt wurden. Die zweite Ausnahme findet sich im Havel-Spree-Gebiet. Knochen großer Wildwiederkäuer sind dort auffällig zahlreich repräsentiert. Man hat beispielsweise Auerochsen oder Wildschweine regelmäßig gejagt; insbesondere aber Rothirsche waren intensiven und offensichtlich erfolgreichen Nachstellungen ausgesetzt. Neben Wildbret brachte man sich auf diese Weise auch in den Besitz des wichtigen Rohstoffes Geweih. Im Stammesgebiet der Heveller und Spreewanen betragen die Wildtieranteile bis zu 50%, zwar sowohl in den Schlachtabfällen aus Burgen, als auch aus den ländlichen Siedlungen. Ob die Jagd im Frühmittelalter bei den Nordwestslawen bereits geregelt war und das Jagdrecht bestimmten Leuten oblag, konnte ich bei meinen Recherchen nicht in Erfahrung bringen. Wahrscheinlich ist die Jagdausübung als traditioneller Bestandteil in der Ernährungswirtschaft und Rohstoffversorgung noch jedem erlaubt gewesen und erst später einer strengen Reglementierung unterworfen worden. Exkurs 1 : Die Jagd in Starigard/Oldenburg Gejagt wurden Säugetiere und Vögel. Kleinere Tiere erlegte man nicht selten bei der Beizjagd. Bei den Säugetieren sind zwei Gruppen zu unterscheiden, nämlich einerseits die ihres Fleisches wegen gejagten Tiere und andererseits die Pelztiere. In Oldenburg stehen, gemessen an der Anzahl der Tierknochen, die fleischliefernden Säugetiere im Vordergrund. Hierzu zählen neben dem Rothirsch auch Wildschwein, Hase und Reh. Je nach Tierart ließen sich zudem Geweih, Haut oder Fell nutzen. Zu den Säugetieren, die vornehmlich wegen ihres Pelzes gejagt worden sein dürften, gehören Braunbär, Biber, Wolf, Rotfuchs, Eichhörnchen, Fischotter, Baummarder und Wildkatze. In nennenswerter Anzahl erscheinen allerdings nur die Knochen von Braunbär und Biber; von den anderen Arten liegen nur vereinzelte Funde vor. In Oldenburg gibt es sogar einen der allgemein sehr seltenen direkten Belege dafür, das Pelzkleidung getragen wurde. In einem Grab des 10. Jahrhunderts fanden sich, als Reste einer Pelzmütze vier zweite und sieben dritte Zehenknochen vom Baummarder, die am Hinterkopf des Bestatteten lagen. Zumindest bei einigen Pelztieren dürfte man auch das Fleisch gegessen haben, namentlich bei Braunbär und Biber. So liegen vom Biberschwanz, der als Delikatesse gilt, einige Wirbel vor. Die Vogeljagd richtete sich hauptsächlich auf Enten, wobei recht viele Knochen verschiedener Entenarten vorkommen. Die Entenjagd fand gewiss auf den Seen des Oldenburger Grabens in der Nähe des Burgwalls statt. Einige Entenarten wie die Bergente, Eisente und Trauerente hat man an der Ostseeküste gejagt. Außerdem treten Seeadlerknochen relativ häufig auf. Ebenso wie in Oldenburg liegen auch in Haithabu und einigen anderen Siedlungen vom Seeadler merkwürdigerweise fast nur F1ügelknochen vor. Offenbar nahm man von erbeuteten Seeadlern vielfach nur die Flügel mit, um die Schwungfedern zur Befiederung von Pfeilen zu verwenden. Bei den Ausgrabungen in Starigard konnten mehr als 100 000 Knochenreste geborgen werden, ein kleiner Teil nämlich weniger als 5 % davon, konnten den Wildsäugetieren und Wildvögeln zugeordnet werden. Das heißt die Jagd hatte für die Bewohner von Starigard keine allzu große Bedeutung. Dieser Befund steht im Einklang mit slawischen Fundplätzen im nordwestlichen Ostseeraum. Exkurs 2 : Die Jagd in Berlin/Spandau Dort haben wir es einer der größten Knochenaufsammlung aus einem Fundplatz südlich der Ostsee zu tun. Die archäozoologischen Untersuchungen an einer 70 000 Funde umfassenden Stichprobe haben ergeben, das der Prozentsatz an Wildtierknochen in den Schlacht- und Speiseabfällen der Siedlung von Berlin - Spandau erheblich ist. Er beträgt nach Knochenanzahl rund 1/4 aller Funde, nach dem Knochengewicht ist er sogar noch höher einzuschätzen. Verallgemeinert ausgedrückt handelte es sich bei jedem vierten Stück Fleisch, das von den in der Siedlung lebenden Menschen verzehr wurde, um Wildbret. Dem Rotwild kam dabei ein besonders hoher Stellenwert zu, während das Fleisch von Wildschweinen, Rehen oder Wildrindern ( Auerochse oder Ur ) nur gelegentlich verzehrt wurde. Zur Jagdbeute gehörte eine breite Palette von Wildtieren. Auerochsen, Rothirsche, Rehe, Elche, Wildschweine und Feldhasen. Kleine Raub- und Pelztiere wie Fuchs, Dachs, Marder, Fischotter und Biber. Aber auch große Raubtiere wie Bär, Luchs und Wolf. Nicht zu vergessen im Fundspektrum sind diverse Arten von Wildvögeln. Die Umgebung der Siedlung und Burg Berlin- Spandau schien offensichtlich all diesen Arten idealen Lebensraum zu bieten. Diese Landschaft bestand aus Misch- und Nadelwäldern, Au- und Bruchwald, feuchten Wiesen und Offenflächen und insbesondere ein dichtes Netz von kleinen und größeren Flüssen, Altarmen und Seen mit der entsprechender Ufervegetation. Der hohe Wildtieranteil in Berlin-Spandau und anderen Fundplätzen des Havel-Spree-Gebietes weicht so stark ab, von dem Bild, welches wir von der frühmittelalterlichen Ernährung z.B. im nordwestlichen Ostseebereich haben, das man sich fragen muss, ob dies ökologisch bedingt war, oder ob es ökonomische Gründe gab. Quellen: C. Becker, Zur slawisch- frühmittelalterlichen Großwildjagd im Havel-Spree-Gebiet, Berliner Beiträge zur Vor und Frühgeschichte Neue Folge Band 8 W. Gebers, Bosau,Untersuchung einer Siedlungskammer in Ostholstein Band V, Der slawische Burgwall auf dem Bischofswarder, Teil 1: Katalog A. von Müller, Waffen und Reiterausrüstung, Berliner Beiträge zur Vor und Frühgeschichte Neue Folge Band 9 T. Kempke, Starigard/Oldenburg,Hauptburg der der Slawen in Wagrien III, Die Waffen des 8. - 13. Jahrhunderts E. Schuldt,Groß Raden ein slawischer Tempelort in Mecklenburg D. Paddenberg, Die Funde der jungslawischen Feuchtbodensiedlung von Parchim-Löddigsee, Kr. Parchim,Mecklenburg-Vorpommern W. Prummel, Starigard/Oldenburg, Hauptburg der Slawen in Wagrien, Band IV, Die Tierknochenfunde unter besonderer Berücksichtigung der Beizjagd