So, neuer Thread, altes Spiel. Zuerst vielleicht zu Hickory, wie interessant ist die Vorzeit für's Mittelalter? Zum Haithabu-Bogen: Es gibt zwei komplett erhaltene Bögen dieses Typs, einen aus Haithabu selbst und einen aus Ballinderrry, Irland. Dies und die Tatsache, dass Bögen mit überstehenden nach hinten gebogenen Enden auf Abbildungen zu sehen sind, spricht dafür, dass Bögen dieses Typs eine gewisse Verbreitung hatten. Der Haithabufund besitzt eine Länge von 191 cm, eine effektive Länge von 178 cm und einen D-förmigen Querschnitt ohne besonders heraus gearbeitetes Griffstück. Somit beträgt wohl die Länge der überstehenden Enden jeweils 6,5 cm. Ein gewisser Herr Harm Paulsen (hatte ich bereits erwähnt) hat den Fund (und weitere Fragmente) untersucht, rekonstruiert und als Bericht 33 der Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu publiziert. Die drei Repliken, die von den Maßen her ziemlich dem Originalbogen entsprechen, hatten Zuggewichte von 84, 93 und 101 lbs, was auf die unterschiedliche Holzfestigkeit der Eibenstämmchen zurückzuführen ist. Sie hatten mit verschieden schweren Pfeilen Schussweiten zwischen 150 und 195 m. Schuusstests ergaben, dass alle drei Bögen mit entsprechend ausgewählten Pfeilen Ziele wie tote Tiere, Holzschilde und Kettenhemden problemlos durchdringen und nur an Schildbuckeln scheitern. Wie bereits festgestellt waren einseitige Sehnenkerben durchaus usus an mittelalterlichen Bögen. Zurückgebogene Bogenenden werden als typisches Erkennungsmerkmal für Wikingerbogen angesehen. Ein möglicher Grund für die Endenform könnte eine gewisse ethnische oder dekorative Symbolik sein. Eine weitere Theorie ist, dass die Enden des Bogens beim Spannen zur Hilfe genommen werden können. Diese Theorie beruht darauf, dass die Kerbe sehr flach war (anders als Viator meinte) und evtl. gar kein Sehnenöhrchen aufgenommen hat, sondern die Sehne gewickelt oder geknotet wurde und man den Bogen am Ende haltend vorgespannt hatte. Auf einer Abbildung des 11. Jh. kann man jedoch ein am oberen Ende dargestelltes Sehnenöhrchen erkennen, während die Sehne am unteren Ende gewickelt ist. Trinitatis, deine Theorie mit der Benutzung auf Schiffen kenne ich noch nicht, habe sie aber auch nicht ganz verstanden. Was ich hier schreibe, stammt aus dem Bogenbauer-Buch, welches ich bereits an anderer Stelle erwähne. Der Bericht im speziellen lautet "Die Bogen der Wikinger" von Jürgen Junkmanns, S. 125-132. Zum Thema Handschock schreibt Herr Junkmanns übrigens: "Da diese Langbögen keine verdickten Griffteile besitzen, biegen sie sich über die ganze Länge, also auch im Griffbereich. Dass dadurch Probleme beim Abschuss auftreten (Handschock o.ä.), wie es von manchen Autoren behauptet wird, kann nicht bestätigt werden. Bei hohen Zuggewichten kommt es naturbedingt zu einer Art "Rückschlag" durch die plötzliche Muskelentspannung beim Lösen des Pfeils; dies ist aber beit allen starken Bogen der Fall und lässt sich nicht abstellen." (S.130) So, wichtig: Hätten die überstehenden Bogenenden irgendeine größere Auswirkung auf einen möglichen Handschock, hätte es garantiert spätestens dort gestanden. Und, hätte dieser Bogentyp sich als nicht besonders schusstauglich herausgestellt, hätte er bestimmt nicht diese Verbreitung erfahren. Zwei Dinge noch. Zum einen habe ich im Gegensatz zu einem Teilnehmer (Theorie mit dem Spannen mithilfe der Enden) im free-archers-forum Jürgen Junkmanns als sehr kompetenten Bogenbauer und Archäologen kennengelernt und zum anderen würde ich gerne aufgrund von Fakten oder begründeten Thesen weiterdiskutieren und nicht aufgrund von Mutmaßungen. Gruß Ollie