Detailfragen zu Frauenkleid (Spätmittelalter)

This site may earn a commission from merchant affiliate links, including eBay, Amazon, and others.

Ellaria

Well-known member
Registriert
03. März 2015
Beiträge
99
Reaktionspunkte
37
Ort
95632 Wunsiedel
Hallo allerseits, wie in meinem Vorstellungsthread bereits angedroht, schwirren mir immer noch einige Detailfragen im Kopf herum, die ich hier gerne diskutieren würde. Geplant habe ich ein Kleid (2. Schicht; über dem Leinenunterkleid) einer etwas besser betuchten Stadtbewohnerin aus Oberfranken, ca. 1350-1370. Dafür habe ich einen dunkelgrünen Wollstoff gekauft (farblich natürlich nicht ganz optimal, aber er war deutlich günstiger als die Alternativen von Naturtuche - zum Experimentieren und um damit vielleicht mal über den GroMi-Markt zu laufen muss er reichen). Auch wenn der Stoff noch recht weit davon entfernt ist historisch korrekt zu sein, der Schnitt und die Verarbeitung sollen möglichst nah ran kommen. Und damit das auch was wird, frage ich vorsichtshalber mal die Experten (also euch) :D . 1. Der Schnitt: Herjolfsnes vs. Viertelschnitt Ich tendiere momentan zum Viertelschnitt, weil ich wahrscheinlich nur so ein Kleid hinbekomme, das an der Taille und am unteren Rücken so eng anliegt wie ich mir das vorstelle. Ich will zwar kein Kleid, das den Körper formt (dafür bin ich zu früh angesiedelt), aber es sollte schon so eng sein wie z.B. die Kleider in der Regensburger Weltchronik (ca. 1360). Das Problem ist nur, dass ich außer den auf Abbildungen eng dargestellten Kleidern keinen direkten Beleg für diese Schnittform zu meiner Zeit finden kann. Das einzige erhaltene Kleidungsstück ist das Goldene Kleid der Königin Margareta (Anfang 15. Jh.). In der Männermode scheint der Schnitt allerdings schon existiert zu haben, die Frage ist nur, wann er auf die Frauenmode übertragen wurde und wann er in meiner Gegend bekannt wurde. Fallen jemandem dazu noch weitere Anhaltspunkte ein? Kritik? Alternativvorschläge? Ich bin für alles offen :/ . 2. Mittelgeren: Ja oder Nein? Die Verwendung von Mittelgeren habe ich eigentlich nie angezweifelt - bis ich das Buch von Katrin Kania gelesen habe. Ich teile ihre Ansicht, dass Mittelgeren bei Frauenkleider generell eher nicht verwendet wurden allerdings nicht, weil ich doch einige Belege dafür gefunden habe. Wenn ich Kleider, die mit Mittelgeren geschneidert sind, mit diversen Abbildungen vergleiche, kommt das optisch auch ganz gut hin. Trotzdem würde es mich interessieren, ob Darstellerinnen aus meinem Zeitraum schon mal Kleider ohne Mittelgeren zum Vergleich geschneidert haben. Kommt der Fall von Kleidern ohne Mittelgeren vielleicht doch noch näher an die Abbildungen heran? 3. Das Dilemma mit dem Verschluss Ursprünglich wollte ich Knöpfe – sind hübsch, sieht man bei anderen Darstellern immer wieder. Dann hat mich die Betreiberin der Seite La Cotte Simple verunsichert und meine eigene Suche nach Belegen für Knöpfe an der zweiten Kleiderschicht (nicht an der Surcote) war leider auch nicht sehr erfolgreich. In Manuskripten ist für gewöhnlich gar kein Verschluss abgebildet und bei Grabmälern tragen die Damen meist eine dritte Schicht Kleidung. Grabmäler ein klein wenig (bis deutlich) nach meinem Darstellungszeitraum zeigen Frontschnürungen, in einer Weltchronik von 1370 befindet sich genau eine Abbildung einer Frontschnürung (später findet man diese öfter). Der einzige recht eindeutige Beleg für Knöpfe an der Front sind Grabmäler aus der Schweiz von 1390. Bei Männerkleidung finde ich für meine Zeit Belege für sowohl Knöpfe als auch Schnürung (letzteres eher selten). Und nun? Waren Schnürungen zu meiner Zeit schon verbreitet genug? Gab es doch Knöpfe an Frauenkleidern? Ich bin wirklich kurz vorm Verzweifeln… Ohje, das ist jetzt ziemlich lang geworden, ich bin jedem dankbar, der überhaupt alles gelesen hat :knuddel . Mir ist natürlich klar, dass mir hier niemand eine Absolution erteilen kann (schön wär’s…). Ich freue mich aber über jede Anregung, sei es zu weiteren Quellen, Interpretationsmöglichkeiten, auf die ich nicht gekommen bin oder was auch immer euch sonst noch einfällt. Falls jemand an meinen nicht aufgelisteten Belegen interessiert ist, schicke ich gerne eine PN. Liebe Grüße Ellaria
 
1. Schnitt: SChau dir mal den Schnitt des Moy Bog Garment an, der könnte auch hilfreich sein. Ich würd es konkret darauf ankommen lassen, ob und wie viel du vorne knöpfst. Ich bin sehr für den Moy Bog Schnitt für bis zur Hüfte geknöpfte Kleider, Herjolfsnes für altmodische Schlupfer und 4/4tel für durchgeknöpfte (weil da die Gere vorn irgendwie blöd wäre und man breitere Rockpartien braucht, da braucht man mehrere Schnitteile mit unten weiten Saumlängen). 2. Mittelgeren: kommt auf den Stand an, aber wenn du nicht ganz ärmlich bist, würde ich sagen ja, aber auch nur dann, wenn du wie oben schon erklärt, ein nicht komplett durchgeknöpftes Kleid hast. 3. ein Verschluss muss für so enge Kleider sein, wie sollst du sonst rein oder raus kommen? Da hast du dann 3 Möglichkeiten, Knöpfe und Haken/Augen Verschlüsse würd ich als früheste Variante anführen wollen (zweiteres ist zB fast unsichtbar, könnte ein Grund sein, warum man sie nicht sieht auf Abbildungen), Schnürverschlüsse später, da würde ich 1370 ansetzen wollen, aber dafür bin ich zu wenig bewandert in deiner Region. schau mal hier sind noch einige Quellen angeführt: http://wh1350.at/literatur-und-quel...inierte-handschriften-quer-durch-die-epochen/ http://wh1350.at/literatur-und-quellen/online-tipp-auf-der-suche-nach-abbildungen/ http://wh1350.at/skriptorium/links/ (unten!)
 
Vielen Dank, Rotschopf. Dein Beitrag wirft noch mal ganz andere Punkte auf, über die ich gar nicht oder nur flüchtig nachgedacht hatte. Das macht's zwar nicht unbedingt einfacher, aber durchaus interessanter. :thumbsup: 1. Schnitt: Ui, der Moy Bog Schnitt… Den hatte ich zwar bei meinen Belegen für Mittelgeren notiert, aber dann wieder vergessen. Dabei wäre der ja sogar noch ein Beleg für Knöpfe :kopfwand . Der ist auf jeden Fall eine Überlegung wert, ich befürchte aber, dass ich den Ärmelschnitt allein nicht hinbekomme. Ich hab hier leider niemanden, der mir beim Abstecken helfen kann. Außerdem hab ich auch Bedenken zum einen was die nicht gerade genaue Datierung (und Geschlechtszuordnung) angeht und zum anderen zum Schnitt an sich: Sonderlich eng ist das Kleid nicht geschnitten, oder? Gerade Frontöffnung, keine Rückennaht, nur leicht gebogene Seitennähte… Hmm ?( Komplett durchknöpfen wollte ich nicht, das hebe ich mir wenn überhaupt für den (die?) Surcote auf. Wie plausibel ist eigentlich die Kombination aus Viertelschnitt im Oberkörperbereich und dreieckigen Geren? Also so wie hier: http://cottesimple.com/tutorials/making-a-dress/ (Quelle: cottesimple.com). An sich ist das ja eine vereinfachte Variante des Schnittes vom Goldenen Kleid der Margareta. Das ist zwar auch gestückelt, nur halt „anders“. Es hat aber (wenn überhaupt) nur im Brustbereich eine Frontöffnung, es ließe sich also ein Viertelschnitt mit Öffnung bis zur Hüfte daraus ableiten. 3. Verschluss: Dass ich einen Verschluss brauche war mir klar, sonst komm ich vielleicht mit viel Glück und Gequetsche rein, aber nicht ohne Panikattacke wieder raus ;). Eure Seite kenne ich natürlich und bin schwer begeistert! Ich hab mich auch durch etliche der dort verlinkten Manuskripte (und andere) geklickt, aber eben mit mäßigem Erfolg. Dass ich für eine Schnürung zu früh dran bin, hatte ich ja schon befürchtet. Aber bei Knöpfen bin ich auch skeptisch, weil es so wenige eindeutige Belege dafür gibt. Haken und Ösen finde ich interessant, aber dazu gibt's auch so wenig :(. Katrin Kania schreibt, dass diese erst in der 2. Hälfte des 15. Jh. häufiger auftreten, auch wenn erste Funde schon um 1300 datiert sind. Ich hab mich auch schon gefragt, ob der Strich, den man auf manchen Abbildungen sowohl bei Frauen als auch Männern sieht, vielleicht ein Hinweis auf eine von innen mit Haken und Ösen verschlossene Öffnung ist, aber das ist leider ziemlich spekulativ. Hast du da zufällig mehr Infos *hoff*? Sooo, mir raucht der Kopf ?( Falls noch jemand eine Idee hat, immer her damit!
 
Haken und Ösen sind so ab Mitte des 13. schon im Fundort. Es gibt dafür aber kaum Abbildungen/Darstellungen. Eine mögliche Darstellung ist eine Frauenfigur, da fehlen mir am Handy aber die Quellen. Kann ich nur nachreichen. Es gibt ab etwa 1330 schon massiv Funde von vergoldeten Silberschließen, Pritzwalk z.b., da kann man definitiv von sichtbaren Stücken ausgehen.
 
Dankeschön, Niklas :) Die Darstellung würde mich brennend interessieren, also falls du mal Zeit und Muse haben solltest, wäre ich dir sehr dankbar, wenn du die Quelle raussuchst. Diese vergoldeten Silberteile sind natürlich richtig genial, aber für meine Darstellung leider nicht standesgemäß. Soetwas dürfte ja doch eher von Adeligen und sonstigen reichen Personen getragen worden sein. Die einfachen Haken und Ösen lassen mir keine Ruhe. Wenn es die wirklich schon so früh gab, warum lese ich dann immer wieder was vom 15. Jahrhundert? Unter Darstellern meiner Zeit scheinen sie auch nicht verbreitet zu sein... Gibt's da also doch irgendeinen Haken (Wortwitz natürlich rein zufällig :saint: )? Nicht dass ich ein Problem damit hätte, mal was anders zu machen als die anderen, aber irgendeinen Grund muss es ja geben, schließlich sind die Dinger leicht selbst herzustellen und praktisch. Hat zufällig jemand "Die hoch- und spätmittelalterlichen Buntmetallfunde nördlich der Alpen" zur Hand? Gibt das diesbezüglich irgendwas her?
 
Das Problem ist, dass Haken und Ösen bis heute die absolut gleiche Form haben, sie als Funde auf sich allein gestellt sehr schwer sind, zeitlich einzuordnen. Da geht es ihnen ähnlich wie den Stecknadeln, Haarnadeln und den einfachen Metallknöpfen. Sprich, erst mit den detaillierten Darstellungen und der besseren Fundsituation für vollständige Kleidung des 15ten und 16ten Jahrhunderts lassen sich eindeutige Aussagen treffen. Aber dann haben wir eben wieder die Problematik der Passform. sich reinquetschen oder einnähen lassen wären noch Möglichkeiten, die auf Abbildungen keine Spuren hinterlassen natürlich.
 
Das deckt sich mit dem, was ich bis jetzt so rausfinden konnte. Also doch eher keine Haken und Ösen. Wär ja auch zu schön gewesen ;( . Reinquetschen wird wahrscheinlich nicht funktionieren, ich habe eine relativ schmale Taille und ein leichtes Hohlkreuz. Ich werde den Schnitt (welcher das dann auch immer werden wird) an einem alten Leinenbettlaken testen, da kann ich ausprobieren, ob ich ein Kleid ohne Verschluss eng genug hinkrieg, aber sonderlich große Hoffnungen mach ich mir da nicht.
 

Neueste Beiträge

Oben